Ein völlig neuer Weg zur Sanierung von Boden- und Grundwasserverunreinigungen ist Gegenstand einer wissenschaftlichen Tagung, die am 11. Oktober auf der Morgenstelle an der Universität Tübingen stattfindet. Mehr als 250 Wasserfachleute aus den Universitäten, Ämtern, Behörden und Ingenieurbüros treffen sich auf Einladung des Lehrstuhls für Angewandte Geologie der Universität Tübingen und der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg, um sich über sogenannte "Passive Sanierungsverfahren" zu informieren. Dieses neue Verfahrenskonzept basiert darauf, da▀ die Grundwassergefährdung im Umfeld von Altlasten und Deponien durch den Einbau sogenannter in-situ-Reaktoren, die ähnlich wie ein Filter die Schadstoffe aus dem strömenden Grundwasser im Untergrund entfernen, vermieden wird. Der Begriff "Passiv" steht dafür, da▀ für die Grundwasserreinigung keine äußere Energiezufuhr benötigt wird, sondern lediglich der Ausbau des Filters nach bestimmtem Zeiträumen erfolgt.
Bisher war man im Falle einer leck gewordenen Deponie oder eines Schadensfalles unterhalb einer aktiven Industrieanlage darauf angewiesen, langfristig das verschmutzte Grundwasser durch Brunnen abzupumpen und anschließend oberirdisch aufzubereiten und wieder teuer zu entsorgen. Da ⁿber 90% der heutigen Grundwasserverunreinigungen durch organische Verbindungen, beispielsweise Lösemittel oder Öl, verursacht sind und die Löslichkeit dieser Stoffe im Wasser relativ gering ist, kann es mehrere Zehner, unter Umständen gar mehrere hundert Jahre dauern, bis eine einmal eingetretene Boden- oder Grundwasserverunreinigung z.B. im Bereich einer Industrieanlage durch den natürlichen Grundwasserstrom wieder ausgewaschen wird. Diese Erkenntnis hat sich nach nunmehr fast zwanzigjähriger oft erfolgloser Sanierungpraxis bei den Fachleuten weitgehend durchgesetzt. Trotzdem werden zur Zeit in Deutschland immer noch mehrere zehntausend Grundwasserpump- und Aufbereitungsanlagen zur Sicherung von Altlasten und Deponien, davon viele schon mehr als 10 Jahre, betrieben, ohne da▀ bisher eine nennenswerte Abreinigung des Schadensherdes nachgewiesen werden konnte. Über viele Jahre aufgelaufene Kosten für den Betrieb der Anlagen haben oft die ursprⁿnglich geschätzten Sanierungskosten deutlich überschritten und ein Ende ist meist nicht absehbar.
Hier liegt der gro▀e Vorteil der neuen "Passiven Sanierungsverfahren", die ausschließlich das aus dem Schadensherd abströmende Grundwasser durch senkrecht zur Strömungsrichtung eingebrachte wasserdurchlässige Filterwände abreinigt. Die Filterwände können mit gängigen Methoden des Spezialtiefbaus, wie sie auch zur Herstellung tiefer Baugruben oder Schächte verwendet werden, bis in Tiefen von ca. 50 Metern erstellt werden. Für Schadstoffe, wie sie typischerweise im Abstrom alter Gaswerksstandorte gefunden werden, besteht die Filterwand beispielsweise aus einer Aktivkohlemischung, an der die Schadstoffe sorbieren. Für Lösemittel steht eine andere in Kanada bereits in der Praxis bewährte Technik unter Verwendung von Eisenfeilspänen zur Verfügung. Andere Schadstoffgruppen, wie z.B. Vergaserkraftstoffe werden unter Verwendung mikrobiologischer Methoden abgebaut. Jedoch haben alle passiven Sanierungsverfahren das wesentliche Merkmal, da▀ die Betriebskosten sehr gering sind, da keine nennenswerte Energiezufuhr für das Abpumpen, Reinigen oder Entsorgen benötigt wird und die Filter erst nach vielen Jahren ausgewechselt werden.
An dieser neuen Technologie wird seit ca. 5 Jahren in verschiedenen kanadischen, amerikanischen und deutschen Universitätsinstituten aber auch vermehrt in Forschungslabors vor allem amerikanischer Energie- und Elektronikunternehmen sowie der Auto- und Flugzeugindustrie gearbeitet. Ziel ist es die bereits existierenden Filtertechniken zu verbessern und vor allem die Palette der behandelbaren Schadstoffe zu vergrößern. Die größte wissenschaftliche Herausforderung besteht dabei darin, die komplexen chemischen-, physikalischen- und mikrobiologischen Prozesse, die bei der Reinigung des Grundwassers in den Filterwänden ablaufen, zu verstehen und die langfristige Funktionsfähigkeit sicherzustellen.
Die amerikanische nationale Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) hat im letzten Jahr die passive Filterwand-Technologie in die Kategorie der besten heute verfügbaren Sanierungsverfahren eingestuft. Das Umwelt- und Verkehrsministerium des Landes Baden-Württemberg hat ebenfalls dieser neuen Entwicklung Rechnung getragen und plant deutschlandweit die erste Anwendung einer passiven Sanierungseinrichtung für die Sanierung eines ehemaligen Gaswerksgeländes im Raum Karlsruhe als Modellvorhaben finanziell unterstützen. Ebenfalls die erste Filterwand in Deutschland zur Abreinigung von einer durch Lösemittel verursachten Grundwasser-Schadstoffahne soll im Raum Tübingen Anfang 1997 installiert werden. Beide Projekte werden vom Lehrstuhl für Angewandte Geologie der Universität Tübingen betreut und von der Landesanstalt für Umweltschutz in Karlsruhe begleitet. Auch in den neuen Bundesländern, wo die Boden- und Grundwassersanierungskosten auf etwa 400 Milliarden DM geschätzt werden, wird der Einsatz der neuen Filterwand-Technologie erwogen. Zur Zeit arbeiten Wissenschaftler der Universitäten Tübingen, Stuttgart und Dresden sowie des Umweltforschungszentrums Leipzig/Halle an der Entwicklung einer geeigneten Filterwand-Sanierungstechnik für das mit organischen Schadstoffen hochbelastete Grundwasser im Raum Bitterfeld/Wolfen.
Nach Aussagen von Professor Teutsch (Lehrstuhl für Angewandte Geologie, Universität Tübingen), der wissenschaftliche Leiter der Veranstaltung, hat mit dem neuen Konzept der passiven Filterwände ein Paradigmenwechsel in der Behandlung kontaminierter Areale begonnen:
Prof. Dr. Georg Teutsch, Institut und Museum für Geologie und Paläontologie:
"Viele Standorte wurden bisher nicht saniert, bestenfalls gesichert, weil die Geschäfts- und Sanierungskosten zu hoch lagen oder eine Sanierung aus technischen oder politischen Gründen nicht durchführbar erschien. Es wurde vielfach auf Zeit gespielt und gleichzeitig sehr viel Geld in uneffektive Absaug- oder Abpumpma▀nahmen investiert. Jetzt stehen mit den passiven Filterwänden für die wichtigsten Schadstoffgruppen zuverlässig kalkulierbare und kostengünstige Lösungen auch für gro▀flächige Areale zur Verfügung. Es kommt jetzt darauf an, wie schnell diejenigen, die für viele Jahre die hohen Betriebskosten getragen haben, d.h. also im wesentlichen die Kommunen und die Industrie, auf die neuen Entwicklungen reagieren werden."
Presse MAIL (michael.seifert@uni-tuebingen.de)
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